Wer soll das alles wahrnehmen? Über 10.000 Werbebotschaften hämmern auf uns ein, sagen Marketingexperten. Täglich! Das ist 20 Mal mehr Werbedruck als in den 80er Jahren des letzten Jahrtausends. Die Folge: Werbeblindheit. Botschaften dringen nicht durch. Was für eine Verschwendung von Kreativität und Budgets. Doch im Wettstreit gegen Werbeblindheit gibt es einen neuen Player: kontextsensitives Marketing. Die Disziplin verfolgt das Ziel, Inhalte genau dann bereitzustellen, wenn sie dem User am meisten nützen, und so Streuverluste zu vermeiden.
Informationsflut: Nur wertvolle Botschaften kommen durch
Information Overload! Angesichts so vieler Botschaften ist das Gehirn dazu gezwungen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Deshalb haben Menschen die kognitive Fähigkeit entwickelt, Werbung auszublenden.
Werbeblindheit nennt man dieses Phänomen. Banner Blindness. Für Marketer stellt es eine Herausforderung dar. Denn selbst wenn Botschaft, Zielgruppe und Kanal optimal gewählt sind, heißt das noch lange nicht, dass die Botschaft die Zielgruppe erreicht. Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt, unser Kopf selten frei.
Nur wertvolle Inhalte haben die Chance, durchzudringen. Was aber ist ein wertvoller Inhalt? Morris B. Holbrook, Professor für Marketing an der Columbia University, leitet in Consumer Value den Wert von Content davon ab, welchen Nutzen er aus Kundenperspektive bringt. Er unterscheidet zwischen informatorisch (Informationswert), unterhaltend (Erlebniswert) und unterstützend (Servicewert). Auf dieser Grundlage basiert auch Content Marketing. Zielgruppen mit relevanten Inhalten zu erreichen – und anschließend zu (Kauf-)Handlungen zu bewegen – ist Ziel dieser Marketingdisziplin.
Value in use: Wertvoll ist, was genutzt wird
Ist ein relevanter Inhalt immer auch ein wertvoller Inhalt? Nicht unbedingt, wenn man dem Service-Dominant-Logic-Ansatz (SDL) folgt. Die Wertschöpfungstheorie besagt, dass Waren und Dienstleistungen erst dann einen Nutzen generieren, wenn sie durch den Kunden in Anspruch genommen werden. Damit stellt die Theorie die Kundenperspektive radikal in den Vordergrund.
Der SDL-Ansatz bildet die Basis kontextsensitiver Marketingkonzepte. Demnach können Marketer, die relevante Inhalte anbieten, lediglich „Wertpotenziale“ bereitstellen. Den eigentlichen Wert schafft der Kunde selbst, indem er seine Ressourcen einbringt, um mit dem Inhalt zu interagieren. Eine Logik, der auch Content-Fleet-Geschäftsführer Philip Dipner folgt. Sein Credo: „Was nützt es, tollen Content zu haben, wenn er von niemandem gelesen wird?“
Welchen Wert hat ein Hometrainer, der im Keller verstaubt? Nach der Value-in-use-Theorie: keinen.
Der Wert einer Botschaft ist kontextabhängig
Ob eine Botschaft dem Empfänger etwas nützt, hängt stark vom Kontext ab. Ein Beispiel: Die Info über Roaminggebühren in der Schweiz ist in dem Moment von Wert, wenn der Empfänger in die Schweiz einreist. Säße er zu Hause in Hamburg am Küchentisch, wäre sie komplett irrelevant. Kontextsensitives Marketing verfolgt das Ziel, Marketingbotschaften genau dann bereitzustellen, wenn sie dem Empfänger am meisten nützen und seine Aufnahmebereitschaft besonders hoch ist.
Diese Kontexte spielen im Marketing eine Rolle
„Kontext“ bedeutet so viel wie „Zusammenhang“. Und die Zahl der Zusammenhänge ist endlos. Welche davon werden im kontextsensitiven Marketing berücksichtigt? Konrad Zerr, Richard Linxweiler und Anja Forster haben in ihrem Beitrag „Kontextsensitives digitales Marketing zur Steigerung des ‚Value in Context‘ und Herausforderungen für die digitale Markenführung“ ein Modell entwickelt, das drei relevante Kontextdimensionen benennt:
Interner Kontext
- emotional
- intentional
- demografisch
- verhaltenshistorisch
Weiterer Kontext
- sozial
- technisch
- räumlich
- zeitlich
- klimatisch
Äußerer Kontext
- geografisch
- kulturell
Welcher Kontext in Ihrem speziellen Case relevant ist, hängt vom Produkt und vom Business Objective ab.
Beispiel Geomarketing
Um die Transaktionsrate bei Bestandskunden zu erhöhen, hat eBay die Kampagne „Empfehlungen aus Ihrer Nähe“ ins Leben gerufen. Im Rahmen der Kampagne wurden Usern Anzeigen präsentiert, die sowohl deren Produktvorlieben als auch deren Wohnort entsprachen. Daten zum Kaufverhalten wurden mit mikrogeografischen Daten verknüpft, um ein möglichst relevantes Angebot für die User zu schaffen.
Unternehmen, die an Geomarketing interessiert sind, aber nicht die notwendigen Daten besitzen, können diese einkaufen. Das Marktforschungsinstitut GfK bietet im Rahmen von GfK Regional Consumer Styles Datensätze an, in denen der Wohnort mit Informationen über Kaufverhalten, Motivationen, Bedürfnisse und Werte verknüpft wird. Auch der Datendienstleister Acxiom bietet Geomarketingdaten (auch als mikrogeografische Segmentierungsdaten bekannt) an.
Wenn Sie wissen wollen, wie Ihr Block tickt, werfen Sie einen Blick auf die mikrogeografischen Segmentierungsdaten.
Wie Kontext und Sales zusammenhängen
Dass Kontext, Marketing und Sales zusammen gedacht werden, ist per se keine Neuigkeit. Nehmen wir das Beispiel demografischer Kontext: Schon seit langem werden demografische Daten herangezogen, um Zielgruppen zu bestimmen, Personae zu bilden und Marketingmaßnahmen an deren spezifische Bedürfnisse anzupassen. In Redaktionsplänen findet wiederum der zeitliche Kontext Beachtung: Saisonale Themen werden vorab geplant und zeitlich verortet.
Kontextsensitives Marketing geht über diese Standards hinaus. Neben Case-spezifischen Kontexten (z. B. die Berücksichtigung des aktuellen Standorts im Geomarketing) werden universal gültige Fakten genutzt, die Zusammenhänge zwischen Kontext und dem gewünschten Userverhalten (z. B. dem Kaufverhalten) aufdecken.
Beispiel Kaufverhalten: Die Preisbereitschaft (z. B. beim Onlineshopping) ist besonders hoch, …
- wenn sich der User im „Lean Back“-Modus befindet, also wenig involviert, passiv und emotional entspannt ist (emotionaler Kontext)
- wenn ein Touchscreen benutzt wird (technischer Kontext)
- wenn sich die Marke sozial engagiert (politischer Kontext)
Das Wissen über Zusammenhänge zwischen Kontext und Preisbereitschaft ermöglicht es, Marketingstrategien so zu gestalten, dass potenzielle Käufer in dem Moment erreicht werden, in dem ihre Preisbereitschaft am höchsten ist. Eine Kampagne, die das Ziel verfolgt, hochpreisige Fairtrade-Produkte zu verkaufen, könnte zum Beispiel so aussehen:
- Distributionsmechanismus: Push (der User sucht nicht gezielt nach Informationen, er lässt sich „berieseln“ und befindet sich im „Lean Back“-Modus)
- Timing: Freitagabend bis Sonntagabend (der User ist am Wochenende emotional entspannt)
- Kanal: Twitter (Geräte-Targeting ist möglich, der Empfängerkreis kann auf Tablet-Nutzer eingegrenzt werden)
- Inhalt: Faire Produktionsbedingungen als Videoreportage
Technischer Kontext: Wer übers Tablet shoppt, ist bereit, mehr Geld auszugeben.
Wie Sie mithilfe von Daten den richtigen Kontext finden
Um den richtigen Kontext für Ihr Marketingprojekt zu identifizieren, stehen Ihnen mindestens drei Möglichkeiten zur Verfügung:
- klassische Recherche
- KI
- Sensortechnologie
Klassische Recherche
Viele kontextrelevante Informationen lassen sich mit herkömmlichen Mitteln recherchieren: Studienergebnisse, Statistiken, Marketingmodelle wie Sigma-Milieus, die Limbic Map oder das Lebensphasenmodell können Hinweise darauf liefern, in welchem Kontext die Ansprache potenzieller Kunden besonders aussichtsreich ist. Ausgehend von singulären Merkmalen, die für Ihr Vorhaben besonders relevant sind, lassen sich mithilfe des Zielgruppen-Analyse-Tools Best For Planning (b4p) Zielgruppen und Kontexte genauer spezifizieren.
KI
Um kontextsensitives Marketing zu ermöglichen, arbeiten Marketer derzeit mit Hochdruck an KIs, die zielführende Kontexte selbstständig erkennen. So auch Content Fleet: Unsere KI ist dazu in der Lage, die Userintention, die hinter einem Keyword steht, zu erkennen und einer Aktion (z. B. Kauf) zuzuordnen (intentionaler Kontext). Je nachdem, welche Aktion der User durchführen soll, fokussieren wir unsere Publikationen auf die Themen (Keywords), die damit in Verbindung stehen. Mehr dazu erfahren Sie im Artikel “Wie künstliche Intelligenz unser Content Marketing voranbringt”.
Sensortechnologie
Noch wenig verbreitet, aber auf dem Vormarsch, ist die Identifikation von Kontexten via Sensortechnologie. Smart Devices verfügen über Sensoren, die Auskunft über den Kontext liefern, in dem sich der Nutzer befindet: technischer, räumlicher, zeitlicher Kontext, ja sogar der emotionale Kontext kann über die Pulsdaten der Smartwatch ermittelt werden. Aus den unzähligen Daten werden im ersten Schritt mithilfe von Data Mining verborgene Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge herausgeschält. Im zweiten Schritt ermöglicht es Programmatic Advertising, kontextoptimierte Inhalte vollautomatisiert und in Echtzeit an die Kunden auszuspielen.
Sensortechnologie aus der schönen neuen Smarthome-Welt bringt kontextsensitives Marketing auf ein neues Level.
Fazit
Wer aus der Masse an Werbebotschaften herausstechen will, muss nicht nur die richtige Botschaft aussenden, sondern auch den richtigen Moment abpassen. Schon heute ist es möglich, Kontexte, in denen User besonders empfänglich sind, zu identifizieren. Die Voraussetzung: detailliertes Wissen über die Lebensumstände der Zielgruppe. Der Lohn: Weniger Streuverluste für Werbetreibende und weniger “Information Overload” für uns alle.
ÜBER UNSERE AUTORIN
Eva Karnowski (36) ist Head of Content Strategy bei Content Fleet. Mit Content Marketing beschäftigt sie sich seit 2013. Um neue, eindrucksvolle User-Erlebnisse zu entwickeln, arbeitet die studierte Geisteswissenschaftlerin interdisziplinär: Bewährte Content-Marketing-Methoden werden mit Erkenntnissen aus anderen Fachgebieten, zum Beispiel der Soziologie, Psychologie oder den Sprachwissenschaften, verbunden.
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