Wie hält man eine wöchentliche Sportzeitschrift angesichts von Internet und Social Media auf Erfolgskurs? Sven Beckedahl, stellvertretender Chefredakteur von „Sport Bild“, über Geschichten, die auch am Mittwoch noch interessieren, Unternehmensjournalismus à la Bundesliga, glattgebügelte Interviews – und den kommenden Deutschen Meister.
In Handballerkreisen ist Beckedahl als „Polen-Schreck“ bekannt
Sven Beckedahl studierte Kommunikationswissenschaften und volontierte beim Philippka-Sportverlag in Münster, für den er im Anschluss auch als Redakteur arbeitete. 1999 wechselte Beckedahl zu Axel Springer, war in verschiedenen Funktionen für „Welt“, „Welt am Sonntag“ und „Sport Bild“ tätig. Seit 2016 ist er stellvertretender Chefredakteur von „Europas Nr. 1“. Was ihn für den Job bei einer Sportzeitschrift prädestiniert: Sven Beckedahl durchlief als Torwart sämtliche U-Nationalmannschaften des Deutschen Handballbundes, absolvierte sogar ein A-Länderspiel – seitdem gilt er als „Polen-Schreck“. Beckedahls Selbstbeschreibung: „Im Grunde meines Herzens bin ich witzig.“
Content Fleet: Fußball ist nicht alles, aber bei Weitem am wichtigsten. „Sport Bild“ erscheint mitten in der Woche, die Berichterstattung zum Bundesligaspieltag ist da längst durch, für die Resultate in der Champions League kommt der Redaktionsschluss zu früh. Warum sollte ein Fußballfan am Mittwoch die neue „Sport Bild“ kaufen?
Sven Beckedahl: Weil er bei uns Hintergründe erfährt, die er sonst nirgendwo erfährt. Wir machen da weiter, wo das Internet aufhört. Es ergibt natürlich keinen Sinn, noch einmal zu erzählen, dass Schalke am Samstag in Dortmund 4:4 „gewonnen“ hat. Wir erklären beispielsweise, wie es dazu kam. In dem Fall wussten wir detailliert, was Schalke-Trainer Tedesco mit der Mannschaft besprochen, wie er sie in der Pause beim Stand von 0:4 wieder aufgerichtet hat. Das interessiert dann auch am Mittwoch noch.
„Alle haben über ihn geschrieben, wir haben ihn besucht“
„Sport Bild“ ist eine Wochenzeitschrift. Sie muss eine höhere Halbwertszeit haben als Tageszeitungen, soll nicht nach einem Tag im Altpapier landen. Wie schaffen Sie das?
Indem wir so wenig wie möglich auf Themen setzen, die sich am Mittwoch bereits erledigt haben. Stattdessen gönnen wir uns auch längere Strecken über drei, vier Seiten, wie unlängst die Geschichte über Prügel-Präsident Christian Constantin vom FC Sion, der vor laufender Kamera einen TV-Experten niederschlug. Alle haben über ihn geschrieben. Wir haben ihn in Sion besucht und einen ganz anderen Menschen kennengelernt als die Öffentlichkeit bis dato vermutet hatte. Solche Geschichten schmeißt der Leser am Mittwochabend nicht weg, sondern archiviert sie sich idealerweise.
Auf welche Artikel in der „Sport Bild“ sind Sie besonders stolz? Womit ist Ihnen ein Scoop gelungen?
Alle Texte, die bundesweit oder gar weltweit Beachtung finden, sind uns die liebsten. Das ist uns gelungen mit einem Interview des Fifa-Funktionärs und Ex-Weltstars Marco van Basten, der die Abschaffung der Abseitsregel forderte. Das lief in der Tat weltweit rauf und runter. An so etwas haben wir natürlich unsere Freude.
„Heute bekommen wir Kabinen-Schnappschüsse per Instagram serviert“
Die Bundesligavereine betreiben zunehmend Content Marketing, produzieren selbst Inhalte und veröffentlichen sie auf eigenen Kanälen. Sehen Sie diesen Unternehmens-Content als Bedrohung für die Sportberichterstattung und den Journalismus im Allgemeinen?
Früher hätten wir eine Kerze angezündet und gebetet, einmal ein Foto aus der Kabine eines Bundesligaklubs zu bekommen. Das war ein Heiligtum. Inzwischen bekommen wir diese Schnappschüsse von Vereinen über Instagram und Co auf dem Silbertablett geliefert – kostenlos. In dieser Hinsicht profitieren wir davon. Allerdings sind Klub-Medien deutlich unkritischer als unabhängige Journalisten. Uli Hoeneß hat selbst gesagt, dass die kritische Betrachtung eines Klubs niemals aufhören darf, weil sie diesen auch voranbringen kann. Genau diese Rolle füllen wir aus. Wir sind nah dran, ohne die nötige Distanz zu verlieren, und gehen auch dorthin, wo es wehtut.
Fußballer gehören zu den beliebtesten Promis überhaupt bei Facebook, Instagram und Co. Sind die sozialen Netzwerke Quelle für Geschichten? Wie gehen Sie da konkret vor, durchforsten Redakteure tagtäglich die Accounts?
In unserer Social-Media-Redaktion werden die Accounts täglich verfolgt. Wenn ein Spieler aktuell im Gespräch ist, schaut man noch mal genauer nach, was er in den sozialen Medien gerade so treibt. Wie kürzlich Pierre-Emerick Aubameyang nach seiner Suspendierung beim BVB. Bei Twitter hatte er sich noch lustig bei Dreharbeiten mit einem befreundeten Ballkünstler auf dem Dortmunder Trainingsgelände gezeigt. Im Nachhinein recherchierten wir anhand der Twitter-Fotos, dass der Dreh vom Verein gar nicht genehmigt war. Auch deswegen ist Aubameyang dann suspendiert worden.
„Autorisierung gerät immer häufiger zur Zensur“
Erst geht der Spieler rüber, dann ein Vereinsrepräsentant und schließlich noch der Berater des Kickers – und am Ende ist alles glattgebügelt. Macht es überhaupt noch Spaß, Fußballspieler zu interviewen? Kommt dabei außer Plattitüden etwas herum?
Immer seltener. Autorisierung gerät leider immer häufiger zur Zensur. Selbst wenn ein Gespräch richtig stark verlaufen ist, hält sich die Euphorie unserer Reporter in Grenzen. Nach dem Motto: Erst mal abwarten, was die Autorisierung übersteht. Leider ist diese Sorge zu oft begründet. Da wird dann aus Schwarz plötzlich Weiß und aus Sonne wird Regen. Das ist schade. Erst wenn die Profis ihre Karriere beendet haben, stehen sie meist wieder zu ihrer Meinungsstärke.
Wer wird Deutscher Meister? Schafft Heynckes noch mal das Triple?
Meister wird der FC Schalke 04. Insofern hat sich Teil zwei der Frage erledigt.
Foto Sven Beckedahl: „Sport Bild“
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